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Der Steirische Herbst sucht in Graz "Zweite Welten". Ein Rundgang durch die Ausstellungen

monopol, 05. Oktober 2011

Ein Turm aus übereinandergestapelten, von Spanngurten zusammen gehaltenenen Lautsprechern begrüßt die Besucherin im Hof der Grazer Galerie Zimmermann Kratochwill, wo die Hauptausstellung des Steirischen Herbstes eingerichtet ist. Sieht aus wie das Überbleibsel einer Autotuner-Party, ist aber eine Tatlin-Referenz. Die stummen Trompeten von Nemanja Cvijanovic' "Monument zur Erinnerung an die Idee der Internationale" passen prächtig ins Programm des kroatischen Kuratorenkollektivs WHW (What, how and for whom?), das auch vor zwei Jahren die 11. Istanbul Biennale eingerichtet hat: Mit rotziger "Und-dennoch"-Geste werden kollektivistische Utopien aus der Mottenkiste geholt und einer angeblich alternativlosen Gegenwart gegenübergestellt. Zugleich reflektiert die Kunst die marginalisierte Narrenposition, in die sie heute gedrängt ist.

Der nostalgische Rückgriff auf die Utopien der einstigen "Zweiten Welt" pseudokommunistischer Systeme passt auch zum Programm des diesjährigen Steirischen Herbstes. "Zweite Welten" heißt es etwas unterbestimmt und ist damit prinzipiell für alles offen, was sich Kunst nennt.

Neben manch ermüdender Vergangenheitsrecherche in muffigen Kellerräumen präsentieren WHW auch krude-komödiantisches wie Ruben Grigoryans Hunde in Öl, die aus einer surreal-panoptischen Gefängnislandschaft blicken oder sich schmuckbestückt im Arm liegen, Spiegel einer ratlos um die eigenen Pfründe bangenden Mittelklasse. Bestechend die Sachlichkeit, in der Bouchra Khalil Migranten von ihren teils jahrelangen Versuchen berichten lässt, nach Europa oder auch nur von Ramallah nach Bethlehem zu kommen. Die Kameraperspektive entspricht dem Blick der Erzähler (alles Männer), deren Hände auf ausgebreiteten Landkarten die Routen nachzeichnen. Eine Vermessung der Ersten Welt von der anderen Seite ihrer Befestigungen.

Höhepunkt der Ausstellung ist zweifellos die Dokumentation von Yael Bartanas "Jewish Rennaisance Movement", das die Rückkehr von 3,3 Millionen Juden nach Polen fordert. Wohl kein anderes Kunstprojekt hat zuletzt derart suggestiv und bildgewaltig einer defizitären Wirklichkeit den Zerrspiegel geboten wie Bartanas zynisches Spiel mit Versprechungen und Ästhetiken vergangener Propagandabewegungen.

Der erste Teil von Bartanas Filmtrilogie, die auf der Venedig-Biennale im polnischen Pavillon in voller Größe zu sehen ist, wird auch bei Camera Austria gezeigt – zusammen mit harmonisierenden Fotografien israelischer Jugendlicher aus der Gründerzeit in den 40er-Jahren. Die Ausstellung "Communitas. Unter Anderen" befragt Konzepte von Gemeinschaftsbildung und Zusammenleben. Besonders beunruhigend bringt hier Laurence Bonvin Segregationsprozesse ins Bild, die rassische Unterscheidungen nahtlos durch ökonomische ersetzen. Seine Serie "Blikkiesdorp (Cape Town)" dokumentiert eine Containersiedlung am Rande Kapstadts, in die vor der Fußballweltmeisterschaft potenzielle "Troublemaker" aus Innenstadtbezirken umgesiedelt wurden. Die Aufgeräumtheit der Bilder im Stil der "New Topographics" lässt die Szenen aus dem "bloßen Leben" wie Bühnenausschnitte wirken, in denen Kulissen nach Belieben auf- und abgebaut werden können.

Eine weniger feine Repräsentationskritik präsentieren die Skype-Interviews der Künstler-Plattform "ArtTerritories" mit Künstlern und Aktivisten, die wie Nachrichtenscreens nebeneinander ablaufen. Sie behaupten sich immerhin mit der unterschwelligen Forderung, Leitungen vom abgeschlossenen Kunstraum auf die politischen Schauplätze des Nahen Ostens zu legen.

Die Leitungen des Steirischen Herbstes nach draußen sind indes schwächer geworden. Veronica Kaup-Hasler kann sich die aufwändigen Musiktheater-Premieren, die auch deutsche Feuilletons auf Graz schauen ließen, finanziell nicht mehr leisten. Sie setzt auf privates Sponsoring und viele kleinere Projekte, vor allem aus der bildenden Kunst – 70 Prozent der Arbeiten in der WHW-Ausstellung seien Neuproduktionen, erzählt sie. Im Performance-Programm lud unter anderem Ann Liv-Young zur unterhaltsamen Einzeltherapie aufs Hotelzimmer. Und großes Theater gibt es auch weiterhin zu sehen, darunter ein spannendes Nebelballett Eszter Salomons, das eine Welt körperloser Liebe inszeniert. Die kuratorisch stimmigste Ausstellung präsentiert in Graz der Kunstverein Medienturm mit "Hauntings – Ghost Box Media". In akustischem wie plastischem Zusammenklang schafft sie Räume, die mehr sind als die Summe der ausgestellten Arbeiten, so dass man vor Staunen erstmal gar nicht unterscheiden möchte, was hier von Yto Barrada, was von Markus Schinwald, was von Minerva Cuevas oder von Apichatpong Weerasethakul kommt.

Und auch in der WHW-Ausstellung schließt sich im Durchgang durch die Kellerräume eine clevere formale Klammer: Die Mikrofone, die Nemanja Cvijanovic wieder und wieder aufstellt wie für einen Geheimkongress, wo führen ihre Kabel hin? Nach draußen natürlich, auf den Hof, wo aus dem Lautsprecherturm, sobald unten jemand die kleine ausgestellte Drehorgel bedient, durch sirrende, flirrende Rückkopplungsgeräusche die Internationale klingt.

adkv - art cologne preis
für kunstkritik 2012

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der Akademie der Künste 2018