Dub aus dem Tiefkühlfach

Popmusik, die sich nach allen Seiten öffnet: das Debüt des schwedischen Produzentenprojekts Miike Snow.

Der Tagesspiegel, 26. Oktober 2009

Die Geschichte ist bekannt: Ein junger Musiker erreicht unverhoffte Aufmerksamkeit und steigt zum gefragten Mainstreamproduzenten auf, der rundum die großen Popblüten bestäuben darf. Seltener passiert es, dass der umgekehrte Weg beschritten wird, wie es die Schweden Christian Karlsson und Pontus Winnberg getan haben. Als Produzententeam Bloodshy & Avant arbeiteten sie für Madonna, Kylie Minogue und Britney Spears. Letzterer bescherten sie mit „Toxic“ ihr innovativstes Stück Clubmusik und sich selbst einen Grammy. Die Kindheitsfreunde aus Göteborg machen keinen Hehl daraus: Sie taten’s des Geldes wegen.

Was aber passiert, wenn sich Meister in der Architektur effizienter Popsongs ins Studio zurückziehen, um selbst wegweisende Songs zu schreiben? 2007 taten sich Karlsson und Winnberg mit dem New Yorker Sänger Andrew Wyatt zusammen und nannten sich Miike Snow, nach Takashi Miike, dem Regisseur blutiger Yakuza-Filme.

Ihr Debütalbum beginnt mit der lange vorab veröffentlichten Single „Animal“: Dub aus dem Tiefkühlfach, mit Honkytonk-Synthies im Offbeat und gewitzten Bonanza-Schlagzeugwirbeln. Andrew Wyatt übertönt mit überschwänglichem Gesang seine Botschaft von Fremdheit und Leere: „I change shapes just to hide in this place / but I''m still, I''m still an animal“ – ständiger Wechsel der Formen, getrieben von einer Kraft, die sich selbst nicht kennt. Das beschreibt auch die Stoßrichtung dieser Musik, die zusammenzwingt, was nicht zusammengehört, und eine Schönheit schafft, die sich erst im eigenen Entschwinden erfüllt.

Triumphal wirft sich der Refrain von „Burial“ gen Himmel. Doch Wyatt singt von verhinderter Liebe, die in Zerstörung mündet: „Now it’s all a funeral / I’ve become the serial / Killer of us both.“ Euphorische Klänge bei düsterer Wetterlage – das Album vertont eine emotionale Schizophrenie, in der es keine Identität zwischen Gefühl und Ausdruck gibt und Erlösung nur für die Dauer eines guten DJ-Sets möglich ist. Jeder der drei war zugleich Songwriter, Musiker und Produzent. Man erkennt die kratzenden Moog-Sounds aus Britney Spears’ „Piece of Me“ wieder und das Instrumentenset für den Remix von Vampire Weekends „The Kids don’t stand a Chance“. Auto-Tune, Reverb und Halleffekte entziehen Wyatt die Stimme und lassen Resonanzräume an- und abschwellen. Stellenweise geht der technische Perfektionismus auf Kosten des äußeren Zusammenhalts und der inneren Notwendigkeit. Doch Authentizitätsillusionen werden hier ohnehin nicht erzeugt. Diese Musik ist Indiefolk mit den Mitteln von Clubmusik, sie pflegt einen dezidiert anti-naiven Zugang, stellt ihre Künstlichkeit aus. Im Hintergrund pulsieren die Rhythmen, die nach einer durchtanzten Nacht noch stundenlang im Blut stecken.

Harte Proben waren nötig, um die Studiowerke auf die Bühne zu übersetzen. Das Korsett von Festplatteneinspielungen kam nicht in Frage. Auf Konzerten sind Miike Snow zu sechst und treten in weißen Masken auf. Der Einzelne verschwindet im Kollektiv, und Instrumente wie Stimmungen wechseln wie das Wetter. Die Songs wandeln sich mit jedem Auftritt, dauern mal zwei, mal zehn Minuten. So wie das Geweih des hübschen Bandmaskottchens „Jackalopee“, ein gehörnter Hase, öffnet sich diese Musik nach allen Seiten. Und schreibt sich ein in einen Trend, der zurückweist auf die Dub-Soundsysteme der sechziger Jahre auf Jamaika: die Verschmelzung verschiedenster stilistischer Echowellen zu neuen Klängen. In der Entgrenzung der Formen spiegelt sich die Entgrenzung der Lebensläufe von Menschen, die ihre Arbeit über lose Netzwerke organisieren, viele Baustellen zugleich aufreißen und nicht wissen, ob sie nächstes Jahr in Rio, New York oder Stockholm arbeiten.

„Vielleicht wird man bald wissen, wie Facebook klingt“, schrieb Diedrich Diederichsen über das Ende des Pop, wie wir ihn kennen. Nun: so wie Miike Snow. In deren Musik vollzieht sich der Abschied vom abgeschlossenen Werk und von festen Künstler-Images zugunsten fortwährender kollektiver Produktion, in der dem einzelnen keine festen Rollen zugeteilt sind. Wie inzwischen üblich, waren es Remixe und Gratis-Mp3s, die Miike Snow über Musikblogs Aufmerksamkeit verschafften. In der Echtzeitkommunikation der Breitbandnetze scheint ein neuer Entwurf von Pop auf: Es gibt kein Original. Nur Remixe.

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