Die Messe als Mitte des Netzwerks

Vor allem eine gute Zeit haben: Berlin stürzt sich wieder in seine Art Week. Und abc heißt Art Berlin Contemporary – und ist durchaus ein Angebot.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. September 2015

In der Berlinischen Galerie konnte man am Dienstagabend einen spürbar gelösten und beglückten René Block erleben. Der dreiundsiebzigjährige Ausstellungsmacher, der von 1964 an in der Schöneberger Frobenstraße Sigmar Polke, Gerhard Richter und Joseph Beuys zeigte und 1967 den Kölner Kunstmarkt mitbegründete, die weltweit erste Messe für zeitgenössische Kunst, der Beuys nach New York brachte und Fluxus auf den Kunstmarkt, der internationale Biennalen kuratierte und bis heute Unterstützer und Mitgestalter der türkischen Kunstszene ist, wurde von seinem Weggefährten Kasper König in einer sehr persönlichen Rede gewürdigt. „Hier könnt ihr noch was lernen!“, rief König den Jüngeren zu.

Selbst in Berlin ist der stille, zurückhaltende Block kaum bekannt, und so ist es ein Glücksfall, dass die Berlinische Galerie und der Neue Berliner Kunstverein Blocks Sammlung und Archiv öffnen, und damit auch die Geschichte des Kunststandorts Berlin. Die lebendig inszenierte Archivausstellung in der Berlinischen Galerie bietet Einblick in das Leben einer Szene, die ohne Geld zwischen Berlin, Düsseldorf und New York agierte, bevor ihre Mitglieder zu Klassikern wurden. Dort findet sich auch eine großformatige, nachlässig ausgeführte Skizze von Allan Kaprow für seine „Sweet Wall“, eine provisorische Mauer mit Toast und Marmelade als Mörtel, die der Schöpfer des Begriffs Happening als DAAD-Stipendiat im November 1970 nahe der Berliner Mauer aufbauen und umstürzen ließ.

Zwei Dutzend Menschen packten damals an und waren ihr eigenes Publikum. Wenn heute ein paar hundert Meter weiter, auf der Terrasse der wegen Renovierung ruhenden Neuen Nationalgalerie, zur Eröffnung der Berlin Art Week freiwillige Helfer Kaprows temporäre Skulptur „Fluids“ aus Eisblöcken errichten, dann kommt halb Berlin vorbei. In den sechziger Jahren sollte die Ware Kunstobjekt im Ereignis aufgehen. Heute ist das Event selbst zur Ware geworden auf einem immateriellen Markt der Markenwerte, dessen Umfang den Handel mit Kunst übersteigt – zumindest in Berlin, wo auf zehntausend Künstler vielleicht dreißig Sammler kommen.

Die im dritten Jahr stattfindende Berlin Art Week soll zur Messe abc (Art Berlin Contemporary) die Kunststadt fest im Reiseplan der internationalen Kunstwelt einschreiben. Die 280.000 Euro, die der Wirtschaftssenat einst der Messe Artforum zuschoss, gehen in Koordination und Marketing, und 500.000 Euro werden auf drei öffentliche Institutionen verteilt, um zusammen mit der Deutsche-Bank-Kunsthalle Beiträge für das diesjährige Thema „Stadt/Bild“ zu realisieren. Die Nationalgalerie ließ jeden Tag Berliner Künstler Kaprows Eisblock-Arbeit interpretieren. Am schönsten gelang das einer Gruppe um die Malerin Antje Majewski, die auf einer Rasenfläche am Hauptbahnhof unbenutzte Haushaltsgegenstände aufstapelte, um sie von Anwohnern und Flüchtlingen abtragen zu lassen.

Die Konzentration des internationalen Markts, der Galerien zwingt, entweder zu wachsen oder vor sich hinzudümpeln, zeigt sich auch in Berlin, wo Esther Schipper nach ihrer Übernahme der Johnen Galerie auf der abc den ersten gemeinsamen Messeauftritt hat und wo die Galerie Sprüth/Magers, die gerade nach Los Angeles expandiert, mit dem Sammler Thomas Olbricht ein international besetztes Riesenessen schmeißt. Der Architekt Arno Brandlhuber feiert mit James Franco in einer Berliner Eckkneipe gleich um die Ecke von Werner Düttmanns Betonkirche St.Agnes, die Brandlhuber für Johann König zur Galeriehalle umgebaut hat. Der zeigt eine riesige Rauminstallation der Künstlerin Camille Henrot, die sich die Sammlerin Julia Stoschek [...] gesichert hat. Stoschek, frisch im Vorstand der Kunst-Werke, will in Berlin neue Räume eröffnen und erwägt, zu bauen. Berlin 2015, das heißt: Eine Galerie kann zwei Abende hintereinander in den besten Restaurants die Künstler dieser Stadt neben Sammler setzen, während deren Galeristen selbst sich gerade so den Sektempfang leisten können.

So ist es verständlich, wenn sich manche gar nicht erst dem Vergleich ausliefern: Isabella Bortolozzi etwa verzichtet auf die Teilnahme an der Messe abc, und auch Thomas Fischer, dessen Galerie eine der meistversprechenden Neugründungen der letzten Jahre ist und der eine wohl durchdachte Ausstellung von Cyrill Lachauer zeigt, will sein nächstes Projekt lieber in der Galerie realisieren, statt 5000 Euro plus Stellwände für einen Messestand zu bezahlen. Nur langsam hat Berlins lokaler Mittelstand das Geld etwas lockerer sitzen, und wenn internationale Sammler wie Uli Sigg, Patrizia Re Rebaudengo oder Patricia Vergez aus Buenos Aires durch die Gänge ziehen, dann in erster Linie, weil sie in Berlin Freunde treffen und eine gute Zeit haben können.

Die junge Galerie Ellis King aus Dublin bringt erst gar nichts zum Verkaufen mit: Die Ölfässer, die die dreiundzwanzigjährige Goldsmith-Absolventin Lydia Ourahmane aus Algerien nach Europa schiffen ließ und in denen alte Handys die logistische Klangkulisse von Verladen und Transport abspielen, sind schon seit Mai verkauft. Die Installation ist in ihrer Schlichtheit ein formaler Höhepunkt der Messe; Galerist King lobt die Freiheit der abc: Da hier eh kein Verkaufsdruck herrscht, sei Raum für programmatische Statements. Die abc bleibt eine Netzwerk-Messe.

Dabei sieht sie, nach der sehr offenen Architektur im vorigen Jahr, jetzt tatsächlich wie eine Messe aus: Aussteller können nach Belieben Wände hinzukaufen oder weglassen, was den Parcours konzentriert und abwechslungsreich macht. Mit einem offenen Bewerbungsverfahren hat die abc den Geruch des Klüngels abgestreift. Und mit einer Reduktion um zwanzig auf 105 Galerien aus siebzehn Ländern ist auch die Qualität gestiegen. Mehr als ein Drittel der gezeigten Arbeiten stammt von Berliner Künstlern: etwa John Millers Installation aus einem Essayfilm über die Wandlung Berlins („I’m tired of the tourist kitsch“) und einer Litfasssäule mit Passanten auf dem Gemeinschaftsstand von Barbara Weiss und Meyer Riegger (50.000 Euro). Oder Matt Mullicans Arbeiten bei Capitain Petzel, darunter sein „Positive Banner“ von 1991 (40.000 Euro). Auch die mit Stickstoff geeisten Sukkulenten und Orchideen von Julian Charrière in einer Kühlvitrine bei Dittrich&Schlechtriem (65.000 Euro) sind kein schlechtes Angebot.

Solche Arbeiten könnten leicht in öffentliche Sammlungen wandern, so wie frühe Zeichnungen von Jorinde Voigt, die das Kupferstichkabinett einst zu einem Bruchteil der 120.000 Euro erwarb, die sie jetzt bei Johann König kosten. Es wäre genug, wenn der Wirtschaftssenat die 280.000 Euro für die Art Week in die beste Wirtschaftsförderung stecken würde, die es für den Kunstmarkt gibt: öffentliche Ankäufe. Von ihnen profitiert jedes Glied der Produktionskette: die Galerien, die Künstler, deren Mitarbeiter – und vor allem die Institutionen, die an Wertsteigerungen der Zukunft teilhaben könnten, kulturell wie ökonomisch.

Berlins größte Ressource ist die jahrzehntelange Arbeit der Künstler aller Länder, die seit René Blocks Zeiten vor fünfzig Jahren in dieser Stadt leben und arbeiten, auch dank vorbildlicher Förderinstrumente – und die ob der steigenden Preise für Miete und Leben zunehmend unruhig werden, weil sie sich von ihrem eigenen Erfolg verdrängt sehen. „Als Hauptsponsoren der Berlin Art Week freuen wir uns sehr über den Erfolg unserer Dachmarke des Berliner Kunstbetriebs“, erklärte der Künstler Ulf Aminde in einer klugen Ansprache auf der Pressekonferenz. Doch wolle man nun die Sponsorenschaft beenden: „Wir Künstlerinnen und Künstler können es uns leider nicht mehr leisten, den Kunstmarkt, die Institutionen und den Tourismus der Stadt zu subventionieren.“

adkv - art cologne preis
für kunstkritik 2012

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der Akademie der Künste 2018